Es dauerte nur ein paar Minuten und ich war wieder mittendrin. Sah mich allein in dem alten Dachzimmer sitzen, umgeben von einem Chaos aus mehreren hundert Büchern und mindestens genauso vielen CDs, die ich seit Stunden versuchte, über einen Online-Buchhändler zu verkaufen. Jedes Buch gehörte dafür einzeln von mir in die Hand genommen, um den ISBN-Code einzugeben und anschließend darauf zu warten, ob es von dem Händler noch ein bisschen Geld dafür gab oder nicht.
Es wurde immer tiefere Nacht, irgendwann wechselte es in den frühen Morgen hinein. Ich war völlig übermüdet, traurig, mir war kalt, ich musste wegen meiner Stauballergie ständig niesen und trotzdem konnte ich nicht aufhören. Wollte endlich fertig werden mit dem Ausräumen des Zimmers meines verstorbenen Mannes. Mein kleiner Sohn und ich mussten nämlich raus aus dem Haus, in dem zu dieser Zeit eigentlich unser neues Familienleben zu dritt hätte aufblühen sollen.
Die Spuren seines Seins
Stattdessen arbeitete ich mich durch die Spuren und Hinterlassenschaften Stefans. Überlegte bei jedem Buch und jeder CD, welche Bedeutung es für sein Leben gehabt hatte, ob es eine gemeinsame Bedeutung für uns gab und ob es eventuell mal eine Bedeutung für unseren Sohn haben könnte, der seinen Papa nie bewusst kennengelernt hatte. Zwischendrin drifteten meine Gedanken und Gefühle wieder zu ganz anderen Erinnerungen ab und das dauerte eben seine Zeit.
Es fiel mir unheimlich schwer, mich von seinen Sachen zu trennen. Ich wollte mich nicht von unserem gemeinsamen Leben trennen, wollte mich auch nicht von seinem Leben und den Beweisen seiner Existenz trennen. Am Ende kamen mehrere riesige Kisten zusammen, die der Buchhändler mir abkaufte. Nichtsdestotrotz schleppte ich bergeweise Bücher und CDs von Stefan mit in unsere neue Wohnung. Von seinen anderen Sachen ganz zu schweigen…
Auf dem Prüfstand
Vorgestern Abend nun hat es mich gerappelt. Ich hatte das Gefühl, mich von Dingen befreien zu wollen, die ich in meinem Leben nicht mehr benötige. Dinge, die mir plötzlich mehr Last als Zugewinn schienen. Ich schaute also seit Jahren mal wieder bei besagtem Onlinehändler vorbei und los ging’s. Alle Bücher kamen auf den Prüfstand. Stefans Bücher, Bücher, aus unserer gemeinsamen Zeit und Bücher aus meinen sämtlichen bisherigen Lebensphasen. Ein ziemlicher Ritt durch die Zeiten, Länder und Erinnerungen.
Die Nase lief wieder ob des aufgewirbelten Staubs (erwischt, Putzen gehört so gar nicht zu meinen Freuden ), es wurde später und ich immer müder. Doch merkte ich einen Unterschied zu der letzten Bücherausräumaktion. Zwar tauchte ich noch genauso tief ab in die einzelnen Erinnerungen, doch fiel mir das Loslassen nicht mehr schwer. Ein paar Bücher wurden von mir nicht angefasst, da mit wichtigem Leben und Lieben beladen. Diese dürfen selbstverständlich auch irgendwann den Umzug in unsere neue Wohnung mit antreten.
Im Wandel meiner Trauer
Der Rest jedoch durfte einfach so ziehen. Mein Herz hat sich dabei nicht mehr schwer angefühlt. Ich brauche diese Dinge nicht mehr, um mich erinnern zu können. Um mich vollständig zu fühlen und nichts zu vergessen. Oder um mich dadurch meinem verstorbenen Mann näher zu fühlen. Meine Trauer hat sich gewandelt. Erst behutsam, still und in kleinen Schritten, später immer offener und deutlicher.
Sie ist einfach in mir. Sicher, vertraut und geborgen. Teil meines ganzen Seins. Sie flößt mir keine Angst mehr ein. Und mit dieser Wandlung hat sich auch mein Blick auf meine Erinnerungen verändert. Sie sind mein innerer Schatz, auf den ich immer Zugriff haben werde. Ganz gleich ob es einen Gegenstand gibt, auf den ich diese Erinnerungen projizieren kann, oder nicht. Alles ist in mir und dafür da, um mich aufzufangen, lebendig zu halten und zu beflügeln. Kurz nach 2 Uhr ging ich mit dieser Erkenntnis erfüllt ins Bett.
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